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2010er so alles in allem

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2010er so alles in allem

Dies ist nun der vierte und letzte Teil meiner Zusammenfassung der 2010er. Film, Musik und Spiele sind schon verfügbar. Was folgt ist alles, was nicht so richtig in die anderen drei Schubladen gepasst hat.

10er bis 20er zusammengefasst? In meiner Biografie glaub ich wird diese Zeit so eine der großen Zäsuren sein. Auch wenn es nicht ganz präzise passt, so hab ich Anfang der 10er alles im Leben neu arrangiert. Neue Stadt, neuer Job, neue Leute, neue Persönlichkeit. Auch wenn vielleicht nicht alles grandios endete, so bin ich heute ziemlich zufrieden und objektiv betrachtet sorgenfrei.

Anfang der Dekade hatte ich vier Bewerbungen laufen, vier Angebote, vier Städte und davon drei deutsche Metropolen und ein Dorf namens Jena. Lange Zeit hab ich noch gegrübelt, ob die Entscheidung richtig war. Heute find ich, es war mindestens ein 5er im Lotto und mittlerweile eine Geschichte, die mich in einem Film solide unterhalten würde.

Die Mitte der 10er waren beruflich für mich das Ankommen in einer Fiktion. Wenn man mich Anfang der 10er gefragt hätte, wo ich beruflich mal ankommen möchte, dann wäre die Schnittfläche zur aktuellen Situation sehr groß. Nur um das mal ganz klar hier auch festzuhalten, das Imposter Syndrom ist Realität, aber ich muss auch gestehen, in den letzten Jahren langsam an die Situation gewöhnt zu haben, nicht immer das hellste Licht in jedem Raum zu sein, aber das ist ok, denn die hellsten Lichter, erstrahlen oft in einem Blauton, den viele nicht mögen.

Ich hab tolle Menschen in den letzten zehn Jahren kennen gelernt, hoffentlich einige, die ich bis ans Lebensende kennen werde. Besonders als jemand der noch in der DDR aufgewachsen ist, ist die heutige Welt surreal. Mitte letzten Jahres saß ich mit einem Kollegen mit sehr ähnlicher Geschichte, an der Bar eines noblen italienischen Restaurants in Chicago und fragte ihn „Hättest du die mal ausgemalt, mit nem Kollegen hier zu Abend zu essen?“ Keine Antwort, wir schauten uns nur demütig an und schwiegen. Das klingt jetzt alles sehr antik, aber dieses Internet Dings hat mir Türen geöffnet, die größer und vielreicher sind, als es der Fall der Berliner Mauer wahrscheinlich war.

Was mir auch in den letzten Jahren in einer so großen und internationalen Firma auffällt? Lokale Medien nahmen besonders im letzten Jahr das Thema Ostdeutschland wieder verstärkt auf. In meinem Arbeitskreis bin ich die Minderheit, der Deutsche. Niemand denkt in diesem Kontext mehr in Ost/West-Deutsch. Was für ein Zirkus wir hier lokal am Laufen halten, wird einem erst sichtbar, wenn man mal das Zirkuszelt für mehr als fünf Minuten verlässt, aber genug geningelt. Der Rest des Eintrags reißt so ziemlich jedes Thema an und irgendwie fand ich das Format passend. Alles ausführlicher zu beschreiben hätte Monate gedauert, drum hier (m)ein Jahrzehnt im Telegramm-Format:

Von Anfang bis Ende der 2010er im Schnelldurchlauf

Am Anfang der 10er war ich Single, am Ende bin ich es leider auch. Am Anfang der Dekade hatte ich noch einen Großvater, am Ende leider nicht mehr. Am Anfang der Dekade hatte ich keinen Fernseher. Heute schon. Am Anfang der 2010er hatte ich kein Smartphone. Heute würde ich mich ärgern, wenn mein iPhone 6 den Geist aufgeben würde. Am Anfang der Dekade war ich noch teilweise Windows. Heute bin ich Mac. Am Anfang der 10er arbeitete ich in einer vier Personen Firma, heute nähert sich mein Arbeitgeber der 40.000er Marke. Am Anfang der Dekade war ich Geringverdiener. Heute suggeriert mir die deutsche Presse ich sei reich (absoluter Schwachsinn und ein Thema für einen separaten Artikel). Anfang der 10er lief ich noch schnell ins Büro um möglichst 9 Uhr pünktlich anwesend zu sein. Ende der Dekade müsste ich nicht mein Bett verlassen, um produktiv zu sein und laufe täglich gemütlich so zwanzig Minuten ins Büro.

Anfang der 10er konnte ich einfache Speisen zubereiten. Heute behaupte ich überdurchschnittlich gut kochen zu können. Anfang der Dekade hab ich noch Quellcode geschrieben, heute leider nicht mehr – wobei das wird sich ändern, also immerhin hier für dieses Weblog. Anfang der Dekade habe ich noch physikalische Trägermedien erworben. Heute eher nicht mehr. Anfang der Dekade hab ich täglich mindestens eine Simpsons Episode geschaut. Ist heute auch noch der Fall. Anfang der 2010er gab es noch viele Idole meiner Jugend. Heute leider nicht mehr. Anfang der Dekade bin ich vielleicht zwei mal mit einem Flugzeug geflogen, heute bin ich Vielflieger mit Bonuskarte. Anfang der Dekade hatte ich den gleichen PKW wie heute, nur glaube ich kaum noch einmal einen PKW erwerben zu müssen.

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Anfang der 10er trug ich noch primär eine Brille, heute fast ausschließlich Kontaktlinsen. Anfang der Dekade sprach ich mit mir selbst auf Deutsch, heute primär auf Englisch – leider war. Anfang der Dekade war Hip-Hip noch erträglich, am Ende leider nicht mehr. Anfang der Dekade wog ich noch mehr als zehn Kilo weniger als am Ende. Anfang der Dekade hab ich Koriander gehasst. Heute genieße ich Koriander. Mit Austern geht es mir ähnlich.

Anfang der Dekade gab es noch verregnete Sommer und echte Winter. Ende der Dekade scheint dies leider nicht mehr der Fall zu sein. Anfang der Dekade endete mein Arbeitstag im 17 Uhr. Ende der Dekade in der Regel nicht vor 19 Uhr. Anfang der Dekade war England noch Teil der EU, am Ende fast nicht mehr, drum fahren wir ich im Mai auch wieder nach London, bevor sie da die Schotten dicht machen. Anfang der Dekade stellte Steve Jobs das iPad vor und was haben wir gelacht. Ende der Dekade ist dieses Gerät bei mir im Haushalt das Meistbenutzte überhaupt, Steve Jobs ist tot und ich lache nicht mehr. Anfang der 2010er trank ich viel zu viel Kaffee, heute vielleicht noch einen am Tag. Anfang der 10er kamen meine Online-Neuigkeiten per RSS Reader zu mir. Heute auch noch, ist praktisch die gleiche Liste Feeds wie damals, nur der RSS Reader ist ein anderer.

Anfang der Dekade habe ich einigen Leuten zum ersten mal Planes, Trains & Automobiles gezeigt. Auch am Ende der Dekade habe ich einigen anderen Leuten zum ersten mal diesen Film vorgeführt. Beide Gruppen amüsierten sich köstlich. Anfang der 2010er bahnte sich responsive web design an. Ende der 10er ist web design so homogen und langweilig wie noch niemals zuvor und viele der auch hier im Webloge notierten Uniques sind nicht mehr online verfügbar, was ich nachvollziehen kann, denn es kostet auch mich Zeit die Layouts am Leben zu halten, aber es lohnt sich.

Zu Beginn der Dekade sprachen Menschen in Bus und Bahn noch miteinander und schauten sich in die Augen. Heute schaut jeder einzelne auf sein Smartphone Display, hört seine Spotify Playlist und liest bei Facebook Artikel wie 10 Krankheiten, die sich mit dem Konsum von Trinkwasser vermeiden lassen. Vor zehn Jahren war Microsoft noch böse und Google der coole gute Underdog. Heute ist es genau andersrum. Anfang der Dekade war ich primär PC-Spieler, heute nur noch sporadisch. Vor 10 Jahren stritten wir bei Marc noch über Auflösung und Framerates in Videospielen. Heute Gott sei Dank (oder leider?) nicht mehr. Anfang der 10er hat Ben_ pausenlos gebloggt. Heute erfreulicherweise auch.

Zu Beginn der 2010er entdeckte ich Bücher und Sendungen von Anthony Bourdain und war sofort begeistert, fasziniert und neidisch. Kurz vor Ende der Dekade nahm er sich das Leben. Anfang der Dekade waren noch Witze erlaubt, die es am Ende nicht mehr sind. Anfang der 2010er gab es noch kein Righteousness Porn, am Ende schon und ob das ein Fortschritt ist, muss sich noch beweisen. Anfang der Dekade war meine Kopfbehaarung noch nicht grau. Am Ende der Dekade wird eine Stelle schon eher weiß als grau. Anfang der 2010er verschickte Netflix primär noch DVDs von Steven Seagal Direct-to-Video DVDs. Ende der Dekade dominieren Eigenproduktion zum Streamen die Oscars.

Anfang der 2010er war die Welt kompliziert. Am Ende der vergangenen Dekade ist sie noch komplizierter. Vor zehn Jahren dachte ich noch: „Zehn Jahre? Ist ne Ewigkeit.“ Heute fühlt es sich an wie eine Woche.

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